Engländer, die Französisch reden

Vor dem Flughafen Marseille Provence steht eine Gruppe älterer, braungebrannter Männer in karierten Baumwollhosen. Sie lachen und unterhalten sich abwechselnd auf Englisch und Französisch. So habe ich mir Südfranzosen nicht vorgestellt! Es sind auch keine: Es sind Engländer aus Malta, England und Zypern, die sich hier in Marseille mit französischen Freunden zu einer  gemeinsamen Segeltour verabredet haben.

Marseille: Jahrtausende alte Mittelmeer-Metropole

Blauer und rosa Elefant aus Plastik im Funny Zoo de Marseille

Blaue und rosa Elefanten gibt es nur in Marseille

Ähnlich entspannt und international muss es hier schon vor 2.700 Jahren  zugegangen sein. Marseille sei damals aus einer Liebesgeschichte zwischen einem ägyptischen Seemann und einer ligurischen Prinzessin entstanden, sagt die Legende. In der Folge haben die beiden Verliebten offensichtlich noch viele Familienangehörige, Freunde und Bekannte aus ihren eigenen und aus Nachbarländern nachgeholt. Denn die tatsächliche Geschichtsschreibung spricht von vielen Nationen, die sich hier getummelt haben. Griechen aus Kleinasien haben in dieser von Kelten bewohnten Gegend die Stadt gegründet. Später kamen die Römer und die Araber, dann – bis in die neue Zeit hinein – viele Zuwanderer aus dem Maghreb und aus den überseeischen Gebieten in der Karibik und in Afrika. Auch aus den anderen Mittelmeerländern reisten Menschen zu. Und so wurde Marseille zu dem, was es heute ist: Eine Metropole des Mittelmeers, chaotisch, mediterran-lässig, neu und alt eng miteinander verbunden, großbürgerlich-hanseatisch, voller Witz und doch marode und vernachlässigt. So gibt es hier zum Beispiel einen Zoo mit bunten Tieren: Alle aus Kunststoff und lebensgroß.

Marseille ist anstrengend

Anstrengend ist Marseille. Nicht wegen der Menschen, die warten  geduldig, bis ich meinen französischen Satz ausformuliert habe. Vielmehr ist die Stadt am Hang gebaut, zieht sich über mehrere Hügel, klebt an Felsen. Es geht hinauf und hinunter. Die Löcher und Aufwölbungen auf Gehwegen und Straßen machen meine Erkundungstouren oft zum Hindernislauf. Doch so mancher Spazierweg lohnt sich: Oben, von Notre Dame de la Garde südlich des alten Hafens aus, eröffnet sich ein fantastischer Blick auf die Stadt.

Die europäische Kulturhauptstadt

Stellen Sie sich vor, Marseille ist europäische Kulturhauptstadt – und keiner weiß es. Ich komme mir schon etwas komisch vor, als ich einer Marseiller Boutique-Besitzerin und einem australischen Ehepaar erkläre, was die Ursache für die Feuerwerke sind. Nun ja, Marseille selbst kommt auch erst langsam auf Touren.

Blick auf Kathedrale und Baukraene

Baukräne allerorten. Blick auf Kathedrale in Marseille

Es ist Anfang Mai und viele der geplanten Gebäude und Museen sind noch nicht fertiggestellt oder wegen Renovierung geschlossen. Ich schlendere bei etwa 22 Grad über den Hügel von Panier, die Wege und Gassen hoch und runter, unzählige Stiegen und Treppen hinauf und hinab. Es ist mein zweiter Tag und ich fühle mich noch als Fremde. Dabei bin ich ohne es selbst zu merken bereits ein Teil der Stadt geworden. Auf der Straße sprechen mich die Passanten an und fragen nach dem Weg, und im Kunstmuseum fachsimpeln die anderen Besucher mit mir über die Ausstellungsstücke des chilenischen Künstlers.

Nach vier Tagen bin ich auch innerlich angekommen, da geht es auch schon fast wieder an die Heimreise. Die restlichen Reisen kann ich mir dieses Jahr sparen: Ich habe ivoiresisch getafelt, senegalesisch gespeist, marokkanischen Tee und Couscous genossen, beim Tunesier französischen Biowein getrunken, ich habe provenzalischen Gauklern zugeschaut, chilenische Kunst besichtigt, italienisches Eis verzehrt, ich habe südfranzösische und thailändische Spezialitäten probiert, Australiern und Argentiniern den Weg zu ihrer Schiffsanlegestelle erklärt und die Bäckerei mit den größten und frischesten Croissants entdeckt.

Noch ein Tipp für Social-Media-Freunde

Zum Schluss noch ein Tipp für alle, denen ein hiesiges Reisebüro vielleicht nicht weiterhelfen kann: Suchen Sie im Internet, unter Twitter und Facebook nach Marseille. Sie werden wahrscheinlich den Rest des Jahres brauchen, um all die angebotenen Veranstaltungen zu besuchen. Und manchmal brauchen Sie auch viel Zeit und Geduld, wenn Sie auf den Bus warten.